Die Blondine und der Pflug

Es gibt voll aus dem Leben gegriffene Geschichten, die zu wahr sind als sie von Ludwig stammen könnten. Während er im Braukeller weiße Mäuse mit Bätschelerabschluß zum Braumeister ausbildete, machte ausgerechnet eine sehr armselig bekleidete Blondine eine bahnbrechende Erfindung. Na ja, zumindest hat sie dem Schmid beim Stimulieren seiner unteren Hirnhälfte zu dieser Erfindung geholfen. Dem unbekannten Autor sei Dank für diese Geschichte. Oder ist es eine wahre Geschichte von Ludwig? Er weiß es nicht mehr. Sie stammt aus 2012 als er sie aufschrieb – dokumentierte?. Zu viele Rindviecher haben ihm in der Vergangenheit das Hirn vernebelt. Egal. Stilistisch schräg und wahrheitsgemäß vorgetragen könnte sie von Ludwig stammen – oder von jedem anderen Rindvieh, das die Flucht ergreift.

Es gab einmal einen Müller in Müllersheim, fernab jeder Zivilisation, 100 Meter links von Rußland und 100 Meter rechts außerhalb von Zeternheim. Bevor wir uns dem Müller annehmen, sind zum besseren Verständnis noch ein paar Worte über die Zeternheimer zu verlieren. Die Menschen in Zeternheim waren fromm,  redlich, fleißig und folgten, wenn sie nicht einem gottgewollten Handwerk nachgingen, ihrem Rindvieh, das einen großen Freiheitsdrang hatte, im Märzen auf das naheliegende Feld. Die Rindviecher wurden immer schneller, so daß die Menschen ihnen nicht mehr folgen konnten. So manches Rindvieh hat dadurch seine Freiheit gewonnen. Diese Menschen waren betrübt, waren sie doch ein großer Schatz, der Milch und Käse gab und einen bescheidenen Wohlstand sicherte. Im Notfall konnte man sie sogar für eine Frau, die Haus und Hof versorgt, eintauschen, oder aufessen. Der Dorfpfaffe war den Rindviechern auch nicht abgeneigt, gaben deren Besitzer doch das eine oder andere Pfund Käse und Milch an ihn ab, versprach er ihnen doch das Paradies nachdem mühsamem Leben auf der Erde.

Eine große Armut machte sich breit, da immer mehr Rindviecher die Flucht ergriffen. Viele Frauen der Besitzer der Rindviecher, nennen wir sie Bauern, machten es den Rindviechern gleich. Ergriffen die Flucht, weil der Dorfpfaffe ihnen die Schuld gab für die Flucht der Rindviecher.
Die Kinder nahmen sie nicht mit, sie wußten ja schon, wie man zu neuen kommen kann. Der Dorfpfaffe polterte von der Kanzel: Ihr schminkt die Lippen mit Ochsenblut und euren Hals mit Bullensekret, schlingt euch das Leder eng um euren Schoß, nur um schöner auszusehen als die Rindviecher. Das kann denen nicht gefallen, sind sie doch die wahren Schönheiten in Gottes Schöpfung. Das Weib hat schon mal gesündigt, mit dem Apfel. Einen weiteren Sündenfall kann Gott nicht mehr zulassen. Daher seid ihr Weiber schuld an der Flucht der Rindviecher. Das war selbst der Dorfblondinen zu viel. Sie verließ fluchtartig die Kirche. Ohne nochmals Zuhause vorbeizugehen, um Proviant und ein Hemd mitzunehmen, rannte sie in Richtung Mannheim, dort wo sie noch richtige Männer und keine Rindviecher vermutete.


Es war schon Frühling, daher war der Lederrock, den sie sich an einem Dornenbusch zerrissen hatte und nicht mehr tragbar war, kein großer Verlust. Zum Glück gab es noch keine Erderwärmung und die üppige Unterwäsche, die sie trug, sorgte daher auf dem Weg nach Mannheim nicht für größeres Aufsehen. Die Menschen, die sie unterwegs traf waren ohnehin mit wichtigeren Aufgaben beschäftigt, Einfangen von Rindviechern.


In Mannheim angekommen, traute sie ihren eigenen Augen nicht mehr. Die Unterwäsche, die sie in Zeternheim noch mit einem langen Lederrock aus Rinderfell verhüllen mußte, war dort bereits Straßenleidung. Der älteste Berufszweig nutzte diese lange Zeit als Berufskleidung. Leinen war teuer. So knauserten die Städter immer mehr mit dem wertvollen Stoff. Ausgerechnet die Pfaffen in Mannheim waren beglückt von dieser Entwicklung. Wenn die Weiber weniger für ihre Verhüllung ausgeben müssen, so bleibt doch etwas mehr für den Klingelbeutel. Es wird sogar gemunkelt, daß die Pfaffen diese neue Straßenkleidung in Mannheim indirekt einführten. Berufsbedingt mußten sie öfter das älteste Gewerbe aufsuchen, um gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen zu beten, da sie aus Zeitgründen mit den vielen Überstunden selten in die Kirche kamen. Kundendienst war für die Pfaffen selbstverständlich. Als Dankeschön überließ so manche Angestellte ihm ihre Berufskleidung. Da es unschicklich ist, persönliche Geschenke anzunehmen, versteckten die Pfaffen diese unter ihrer Matratze. Die Haushälterinnen fanden diese natürlich bald beim Bettenmachen. Nach anfänglichem Entsetzen, sahen sie bald die Vorzüge dieser Verhüllungen. Eine ordentliche Ganzkörperverhüllung kostete bis dato fünf Taler. Kostete doch diese Stoffmenge höchstens 2 Taler. So wagten sich die ersten Haushälterinnen mit dieser reduzierten Verhüllung auf die Straße. Es konnte ja auch nichts sündiges sein, wenn selbst ihr Arbeitgeber so etwas in seinem Refugio hat. Es bestand auch keine Gefahr, sich mit so einer Verhüllung, von den oberen Waden bis zum Halsansatz und armfrei, öffentlich zu zeigen. Waren doch die Männer lieber im Wirtshaus oder beim Kundendienst, oder umgekehrt, mit einer Ausnahme, dem Schmid. Aber davon gleich mehr.

 Völlig ausgehungert, entblößt der Füße und Waden und armfrei, nicht wissend, daß so was bald normal ist, stand sie vor einen kleinen Haus, aus dem es fürchterlich klingelte, ähnlich den Kirchenglocken in Zeternheim, nur öfter. Neugierig starrte sie durch das Fenster. Dort stand einer, der ohne Wiederlaß mit einem Hammer auf eine Art Fegefeuer eindrosch. Das muß der Mann sein, der dem Teufel Einhalt gebot. Hatte der Dorfpfaffe nicht öfter vom Fegefeuer berichtet. Durch das Fenster strahlte eine angenehme Wärme, die sie plötzlich erinnerte, daß sie leicht fröstelte. Es war ja ein kühler nebliger Frühlingsabend. Der Mann innen, ein Prachtkerl von Mann, gemütlich, zufrieden aussehend, mit einem Schalk im Gesicht, ließ ihr Blut wallen. Kein Frösteln und keinen Hunger mehr war in ihr zu verspüren.

Das glühende Eisen in das Wasser zum Kühlen einzutauchen, dazu mußte er sich umdrehen. Den Blick auf das Fenster zufällig werfend, traute er seinen Augen nicht mehr. Hatte er zuviel von dem Fusel aus der Pfalz sich verabreicht, den die fliegenden Händler gegen Pferdehufe eingetauscht hatten? Oder stand dort ein wahrhafter Engel, von dem er schon mal in seiner Jugend vom Pfaffen gehört hatte. Den Pfaffen hatte er schon lange abgeschworen, wollten sie doch nur sein Bestes, nicht erst im Jenseits, sondern jetzt. Fasziniert und zitternd von der goldenen Erscheinung vor dem Fenster vergaß er das Eisen, das er kraftlos mitsamt der Zange in den Wasserkübel fallenließ. Wie betrunken, stützte er sich an den nächstbesten Halt. Es war die Glühkohle auf der Esse. Ein Aufschrei, der zuerst die Katze in seiner Nähe verscheuchte und der Blondine vor dem Fenster das Blut gerinnen ließ. Zum Glück war nur die Pfote des Schmieds verbrannt und nicht die der Katze.

Die Blondine vor dem Fenster, plötzlich entdeckende Muttergefühle, die sie bisher trotz verschiedener Vorübungen noch nicht ausleben konnte, wußte plötzlich, was zu tun ist. Sie öffnete die Werkstattür, ging direkt auf den Schmied zu und riß ihm seinen Arm vom Schoß, indem er ihn vergraben hatte, in der Hoffnung, dieser könnte ihm helfen. Männer glauben immer noch, es gibt Gegenden in ihrem Körper, die zweite Hirnhälfte, die sie retten könnte, dachte sie. Entschlossen tauchte sie seine Hand unter einen Kraftaufwand, den sie nie für sich möglich gehalten hatte in die erlösende Kühle des Wassers, in das er kurz vorher sein Eisen eintauchte, Ein kurzer zufälliger Blick in ihre Augen ließen all seinen Schmerzen für alle Ewigkeit vergessen. Gibt es wirklich Engel, wie die Pfaffen erzählen? Kann nicht sein, die wohnen im Himmel. Er muß im Himmel sein, wenn das ein Engel ist, ging es durch sein oberes Hirn. Sie riß ein Stück Stoff aus ihren Rock und verband ihm damit die Brandwunde. Der Anblick des dadurch entblößten Körperteils war zuviel für ihn. Er erinnerte sich seiner Schmerzen und wurde ganz blaß und ohnmächtig. Sein Blut muß sich wohl irgendwo anders gesammelt haben, im Gesicht und Kopf war es jedenfalls nicht mehr, so blaß, wie er aussah. Ihrem wohl angeborenem Mutterinstinkt folgend, beschloß die Blondine, an seiner Seite zu ruhen, bis er hoffentlich wieder lebendig wird. Trotz der großen Wärme in der Werkstadt, zitterte er vor Kälte. Kein Wunder, wenn das Blut in wesentlichen Körperteilen fehlt. Es gab in der ganzen Werkstadt keine größere Decke, die ihn hätte erwärmen können. Das Kissen der Katze, die immer noch flüchtig war, bedeckte höchstens seine Muskeln. Da sie nicht fror, beschloß sie, ihn mit ihrem Unterkleid zu bedecken und sich neben ihn zu legen, da sie inzwischen sehr müde war. Die wohlige Wärme der Esse ließ sie bald einschlafen. Aufgeschreckt durch das Miauen und Fauchen der Katze, die Ihr Kissen einforderte, auf der die Blondine Ihren engelhaften Kopf zum Zwecke des Einschlafen legte, stellte sie fest, daß sie auch fröstelte. Die Morgensonne, die durch das Fenster schien, erhellte ihre Füße bis zum Hals und das Kleid, das sie dem Schmid zur Erwärmung auflegte. Kurz darauf wachte auch er auf, das Blut wohl wieder lebenswert verteilt. Über die nächsten fünf Tage kann nichts berichtet werden, da die Werkstadt abgeriegelt und das Fenster verhüllt war. Nebensächliche Vermutungen über diese Zeit würden dies Geschichte unnötig verlängern und sind für die anständigen,  gottesfürchtigen Leser nicht von Belang.

Sie wohnte fortan bei ihm. Er verwöhnte sie mit allem, was man einem Engel zuteil werden läßt. Bei den Einladungen zu allen wichtigen Anlässen in der Stadt war sie der Star, wie man heute zu sagen pflegt. Der Schmid war ja schließlich ein gern gesehener Ehrenmann in Mannheim. Hatte er nicht so manchem Stadtrat ein paar Taler zugesteckt, der pleite war, weil er seine wöchentliche Diäten den armen Frauen im Hinterzimmer des Gasthauses ‚Übba de Brügg‘ gespendet hatte.

Man sollte es den Stadträten nachsehen. Verwandelten sich doch die hübschen Mannheimer Jungfrauen sofort nach der Heirat in fürchterlich häßliche Wesen, Alice Schwarzer oder Merkel wären zur Miß World gekürt worden, hätten sie in dieser Zeit gelebt.

Zu den öffentlichen Veranstaltungen oder Bällen mußte sie nicht mal ihr mitgebrachtes Nachtkleid wechseln. Es war bereits Mode in der Stadt bevor sich eine Frau darin ihrem Mann in der Dunkelheit in Zeternheim zeigen durfte. Sie wurde ob ihrer unendlichen Schönheit allseitig bewundert. Das alles interessierte sie jedoch  nicht. Sie wollte einen anderen Ruhm. Den Zeternheimern zeigen, daß nicht die Frauen und insbesondere die Blondinen schuld am Verschwinden der Rindviecher sind.

Sie forderte den Schmid geradezu heraus, das Problem mit ihr zu lösen.

Seine zweite Hirnhälfte wagte er fortan nicht mehr eizusetzen. Auf dieser Ebene gibt es vielleicht Nachkommen, die das Problem auch nicht lösen können. Er brauchte ab jetzt alles Blut im oberen Stockwerk, zum Nachdenken. Er hatte etwas, das die Blondine faszinierte, aber was bloß? Seine Muskeln und seine manchmal unkontrollierte Blutzirkulation konnte es wohl nicht ausschließlich sein. Sein Handwerk, das war es. Das muß es sein, kam es in seinen Kopf, nachdem sich sein Blut nach den letzten Tagen wieder gleichmäßig verteilt hatte. Nicht seinen athletischen Körper, nicht seinen Einfluß in der Gesellschaft, nicht sein Geld, nicht seine zweite Hirnhälfte, die er bei ihr nicht immer unter Beweis stellen konnte. Wozu war er da? Hatte er doch ein redliches Handwerk gelernt. Das muß es sein. Mit meinem Handwerk kann ich ihr helfen und sie wird meine Liebe erwidern und bei mir bleiben.

Warum sind die Rindviecher geflüchtet? Mit Eisen an den Füßen, hundertmal so schwer wie Pferdehufe können sie nicht mehr so schnell laufen und der Bauer kann sie wieder einfangen, dachte er. Nein, das ist nicht so gut. In einem pfinzigen Sumpfacker könnten sie durch das Gewicht elendig einsinken und wären den Tod geweiht.  Besser, wir binden ihnen ein einem Strick um den Hals und lassen sie meinen Eisenschrott nachziehen. Damit werden sie auch langsamer als der Bauer, der sie wieder einfangen kann.

Mit dieser Idee zogen die Blondine und der Schmid nach Zeternheim. Heute wäre eine solche Idee am ersten Tag als ‚start up‘ börsennotiert. Nicht so bei den Zeternheimern. Über diese Idee sollte im Gasthaus mit einem Bürgerentscheid abgestimmt werden.  Die Linken lehnten die Bestrickung der Rindviecher am Hals ab. Um auch noch dem letzten Rindvieh ihr Parteiprogramm schmackhaft zu machen, brachten sie den Antrag ein, den Strick am linken Hinterlauf anzubringen. Die Rechten wollten ihn natürlich am rechten Hinterlauf sehen. Die bürgerliche Mitte schlug das Euter vor, um ihrer wichtigen Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Die Bullen wurden bei dieser Betrachtung nicht mit einbezogen. Die Debatte endete nicht mit einer Abstimmung, sondern nach vielen Kannen Bier und Obstler mit einer deftigen Wirtshausschlägerei, die der einzige Bauer anzettelte, der diese effektive Methode zur Beendigung einer unendlichen Debatte im fernen Bayern gelernt hatte. Die Frauen von Zeternheim waren jedoch von der Idee der Blondinen und dem Schmid überzeugt und legten am nächsten Morgen den noch in den Ställen verbliebenen Rindviechern die Stricke mit dem am anderen Ende gebundenen Eisenschrott um den Hals. Eile und Vorsicht war geboten, damit nicht noch die letzten Viecher ausbüchsen können. Die stimmberechtigten Männer bekamen davon nichts mit, waren sie mit Rausch ausschlafen oder Platzwundpflege beschäftigt. Ein ohrenbetäubendes Schnauben und Muhhen machte sich sogar beim dümmsten Rindvieh breit. Vermuteten sie doch endlich die ewige Knechtschaft, oder den Metzger, den die geflüchteten Rindviecher ihnen versprochen hatten, bevor diese flüchteten. Die erste Kuh, die diese Falle erkannte, senkte den Kopf und rammte die Stalltür, die sofort aufsprang. Sie rannte los. Nach einem kurzen Ruck, der  sie bremste, ging es mit dem nachschleifendem Eisen nur noch mühsamer voran. Die anderen Rindviecher trotten ihr hinterher. Der Bulle war der letzte. Wir wollen hier keine Vermutungen anstellen, ob er sich vorstellen konnte, was passiert wäre, wenn die Partei der Mitte gewonnen hätte, und ihn in das Parteiprogramm einbezogen hätte.

Störrisch wie Esel haben sie das Eisen, das der Schmied wild aus Resten zusammengeschmiedet hatte, hinter sich hergezogen und sind wieder gen Äcker ausgerissen. Das Eisen hinter sich her zogend, rissen sie große Furchen und Schlaglöcher in die Hauptstraße, die kurz vorher Ein-Taler-Jobber mit Kuhdung und Pferdeäpfeln ausgebessert hatten. An den Äckern angekommen, stellten sie fest, daß die letzte Nacht noch besoffenen Bauern den Acker umstellten, Wild und quer, längs und seitwärts, und wieder andersherum zogen die Rindviecher die Eisenlast hinter sich her. Immer wieder einen Fluchtweg suchend aus dem Acker, den diese Drecksäcke von Bauern umstellt hatten, wohlwissend, daß ihre Chancen einer Flucht immer geringer wurden.

Die Rindviecher konnten ihr Schicksal als logische Konsequenz der äußeren Einflüsse besser einschätzen als die Zeternheimer. Sie hatten schließlich das größere Hirn. Nach langen kreuz und quer, hin und her, waren die Rindviecher fix und fertig. Zu essen gab es hier auch nichts mehr. Hatten sie doch auf ihrem Fluchtversuch den letzten Grashalm untergepflügt* (*dieser Ausdruck wird erst später erfunden. Zum besseren Verständnis wird er jedoch bereits jetzt verwendet.) Sie überließen sich ihren Schicksal und legten sich einfach hin, völlig erschöpft. Da mit zunehmendem Abend auch bald mit Dunkelheit zu rechnen war, gaben auch die Bauern auf und gingen zurück. Rindviecher heimtragen war wohl doch ein wenig zu mühsam. Manch Bauer dachte sicher auch an die Mühen, die ihn in dieser Nacht noch erwartete. Ein ähnliches Gewicht im Schutze der Dunkelheit von einen fünf Taler wertigem Nachtkleid zu befreien, betrachtete einer als reine Folter. Es wird vermutet, daß die anderen Bauern ähnliche Befürchtungen hatten und sich lieber im benachbarten Wirtshaus die Kanne gaben.

Hoppla, stellte die Blondine fest, der Acker sieht nach dem Überqueren der Rindviecher genauso aus, wie ihn die Bauern früher mit Spaten und Harke mühselig bearbeitet hatten. Es war bereits Frühling und Zeit für die Sommersaat. Die Bauern in Zeternheim waren begeistert von ihrer Dorfblondinen.  Hatte sie doch den Pflug erfunden, oder wenigstens hierhergebracht.

Ihre Erfindung sollte mit einem großen Fest im Gasthaus gefeiert werden. Es unterschied sich jedoch kaum von den allabendlichen Besäufnissen. Nur die derben Sprüche über die Weiber waren anfänglich etwas gemäßigter. Einigen gefiel jedoch ihre Bekleidung überhaupt nicht. Insbesondere das Loch in der Nabelgegend, das beim Herstellen des Verbandmaterials für den verwundeten Schmid entstand, fanden manche obszön und ungeheuerlich. Ärmel- und wadenfrei hierher zu kommen war  schon fast zuviel für die guten frommen Bauern hier. Es verwundert daher nicht, daß manche beim Anblick eines weiteren nackten Körperteils ausrasteten. Sie bewarfen sie mit mehr oder weniger gefüllten Trinkhörnern. Vorneweg der Pfaffe, der natürlich in der Öffentlichkeit nichts soff. Dafür war ja der Meßwein zuständig. Er wollte jedoch nicht nachstehen. Er griff in den noch umhängenden Klingelbeutel und nahm einen Knopf heraus. Mit aller Kraft gegen die Blondine schleudernd traf dieser gerade ihren Bauchnabel, Der Knopf setzte sich fest und glitzerte wunderschön. Das Piercing war erfunden. Das ahnten jedoch die Zeternheimer damals noch nicht. Nur der Pfaffe ahnte, welchen Schatz er verschleudert hatte, Den zurückzuholen war unmöglich. Der Meßwein in seinem Keller war am nächsten Morgen leer. Das fünf Taler teure Unterkleid, dessen er sich im Vollrausch erinnerte und das er vor weiterer Sünde schützen wollte, war auch weg. Bleibt noch anzumerken, daß das Fest ohne Blondine endete.

Am nächsten Morgen waren in Zeternheim viele Kater in den Köpfen der Bauern und dem Pfaffen unterwegs. Einer hatte sogar einen Muskelkater, wegen seiner nächtlichen Pflichtübung. Allen gemeinsam gab es einen Anlaß, sich einen Kater zuzulegen. Die Welt war nicht mehr die alte. Die geschminkten Frauen und insbesondere die Blondine, die mit einem Kerl aus dem Sündenpfuhl hierher zurückkam, war etwas zuviel für die Zeternheimer. Das Katerfrühstück fiel bei fast allen dementsprechend aus. Zwei Obstler, ein Pfund Räucherlachs, gefischt aus daneben liegenden Rhein und eine Zigarre vertrieben jeden Kater. Gleiches mit gleichen vertreiben. Die Homöopathie war erfunden und das – in Zeternheim. Der morgendliche Aufstand fiel etwas später aus, da es keine Kühe zu melken gab. Einzig die Blondine war früh auf. Sie lief zu den Äckern, die allesamt und nicht nur die, sondern die dreifache Menge von den Rindviechern umgepflügt waren (wir dürfen die spätere Wortschöpfung „umgepflügt“ zum besseren Verständnis jetzt schon benutzen).

Viele Rindviecher glaubten von nun ab, daß der Strick um ihren Hals (die moderne Form ist die Krawatte) mit dem Eisen hintendran, ihnen die Freiheit geschenkt hat. Manche waren sogar stolz um den Schmuck. Die Rindviecher fühlten sich frei. Blieb doch nachts die Stalltür offen, ein Vertrauen, das die Bauern ihnen früher nicht gaben. Wer hat ihnen die Freiheit geschenkt? Der Bulle, der damals noch nicht von der Krawatte belästigt wurde – pardon – vom Strick, wußte Rat. Gehen wir dorthin, wo der Schmid herkam. Da ist unsere Freiheit.  Eine Handvoll Rindviecher folgten ihm auf dem langen Weg, Mühsam ging es vorwärts in Richtung Mannheim. Hatten sie doch die schwere Last der Eisen hinter sich herzuziehen, die viele Löcher in die Straße rissen. Heute nennt man sie Schlaglöcher. Diese Zeitzeugen sind immer noch auf der Straße der Freiheit, die wir inzwischen B36 nennen, zu sehen. Im gesehnten Mannheim angekommen, waren sie erst mal ratlos und irrten umher. Wo ist die versprochene Freiheit? Wo gibt es was zu essen? Wir sind hungrig, muhten die Kühe. Hinter der nächsten Ecke muß sie kommen, beruhigte der Bulle, der inzwischen die Rolle eines Pfaffen eingenommen hatte. Viele Ecken mußten noch genommen werden, bis sie an einem großen Haus vorbeikamen, in dem andere Kühe einmarschierten. Nicht ganz freiwillig, wie deren Gemuhe vermuten ließ. Die Stricke zogen sie nicht mehr hinter sich her. Kräftige Burschen mit weißen Schürzen zogen sie an den Stricken ohne das Eisen in das Haus. Beruhigt euch, meinte der Bulle. Diese Rindviecher glauben nicht, daß hier die Freiheit wohnt. Diese Burschen helfen denen nur etwas auf die Sprünge. Seht doch, welchen würdigen Empfang sie uns bescheren. Das Bild über der Tür ist uns gewidmet. Die sonderbaren Zeichen nebenan konnten sie jedoch nicht entziffern. Gasthaus zum Goldenen Ochsen und Metzgerei, stand da in goldenen Lettern. Dort drin beginnt nicht nur die Freiheit, sondern auch das ewige Leben. Geht schon mal frohgemut hinein. Hungern müßt ihr dann bald auch nicht mehr. Ich folge euch, wenn die letzte drin ist. Kaum erledigt, hatte der Bulle eine Vision. Ich kann sicher noch viel mehr als ein paar Rindviecher in die Freiheit und das ewige Leben zu entlassen. Er ging natürlich nicht hinein, sondern folgte seiner neuen Bestimmung und machte sich auf den Weg nach Rom, wo eine noch größere Freiheit auf ihn wartete. Dorthin, wo man sämtliche Rindviecher auf der Welt zur Freiheit bekehren kann. Eine einzige Kuh verdrückte sich ebenfalls. Ihr war diese Art, die Freiheit zu gewinnen etwas suspekt. Sie verdrückte sich schnellstens um die nächste Ecke. Von deren Schicksal später etwas mehr.

Stolz wie Benedikt, kam der Bulle in Rom an und erzählte von seinen Bekehrungen, die ihm über die Presse vorauseilten. Heute nennen wir es Presse, damals war es noch die Fresse. Zeitlich hätte er es nicht besser treffen können. Ist doch der amtierende Oberbulle kurz vorher an einer der üblichen Machtkrankheit gestorben. Die Eier plagende Zeit, aufgrund seines Alters inzwischen überwunden und seiner vorauseilenden Erfolge, war er der ideale Kandidat, Wie zu erwarten, wurde er über Rauchzeichen zum neuen Oberbullen gewählt. Damals durfte noch geraucht werden. Er wurde als Segen für die Menschheit, aller Tiere und vor allem für die Rindviecher gefeiert. Jeder mochte ihn. Segnete er doch alles ab, was in der Welt so passierte. Wollen wir uns nicht weiter in diesen Nebensächlichkeiten aufhalten und widmen uns lieber der ausgebüxten Kuh in Mannheim. Die Frage, woher er die großzügige Spende für seine neue Amtsstube hatte, soll uns ebenfalls nicht weiter interessieren. Gott sei Dank, hatte der Bulle damals andere Aufgaben. So blieb die ausgebüxte Kuh eine Art Jungfrau und mußte nicht gemolken werden. Ausgehungert zwar, jedoch frei vom Melken, ergriff sie die Flucht aus Mannheim. Die Hufe abgewetzt, mit schmerzenden Füßen, ging sie zurück nach Zeternheim. Sie hatte auch eine Eingebung, die sie den Zeternheimern mitteilen wollte. Die Freiheit, die ihre Mitrindviecher in Mannheim fanden, war in Wirklichkeit keine. Sie hatte gesehen, wie einer dieser Burschen vor dem Haus in Mannheim dem Bullen den Strick kurz unterm Hals abschnitt und einen Beutel anhängte, der leicht klingelte. Ein solches Klingeln hatte sie schon mal gehört, als sie am Marktplatz in Zeternheim vorbeikam.

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